Mit neugierigen Blicken wurde Vorleser und Schauspieler Rainer Rudloff von den Schülern der Klasse 8 bedacht, als er, sportlich gekleidet mit Mütze und Turnschuhen, im Stile der jugendlichen Protagonisten Maik Klingenberg und Andrej Tschichatschow aus Wolfgang Herrndorfs Roman „tschick“ lässig in den Multifunktionsraum des Gymnasiums Oesede schlurfte.
Das soll ein Vorleser sein? Muss der nicht alt und bärtig sein?
Deutschlands einziger professioneller Vorleser entspricht mit seinem Pferdeschwanz und der lässigen Jeans so gar nicht dem Klischee von altbackenen Texten, steifer Rezitierweise und dem Ende der Buchkultur.
Mit witzigen Textpassagen über die erste große Liebe oder die Fahrt zweier Schulfreunde im gestohlenen Lada aus dem Roadmovie „tschick“ trifft Rudloff ganz ohne mediale Unterstützung und Soundeffekte den Nerv der jungen Zuhörerschaft.
In knapp einer Stunde demonstriert der Profi aus Lübeck, was effektvolles Vortragen heißt.
Rudloffs intensive Mimik, seine dramatischen Gesten und die lebendige Sprachmelodie lassen die jungen Hörer interessiert aufhorchen oder laut lachen.
Wie bei der besonders gelungenen Imitation des russischen Akzentes von Außenseiter Tschick.
Neben mal witzig, mal ernsthaft interpretierten Textstellen erläutert der ebenfalls als Sprechcoach tätige Rudloff sensibel und informativ die inhaltlichen Hintergründe des Romans sowie das
tragische Schicksal seines Autors.
„Lachen und dann in die Tiefe gehen“, so Rudloff, „das macht gute Literatur für mich aus.“
Temperamentvoll und mitreißend zitierte der Vorleser später englische Textpassagen aus Douglas Adams „Die letzten ihrer Art“.
Ausschnitte aus diesem für die BBC in den 80er Jahren verfassten Sachbuch überzeugten auch den letzten Lesemuffel davon, dass selbst ein dokumentarisches Werk, wenn es lebendig und ausdrucksstark
vorgetragen wird, ein echtes Zuhörvergnügen sein kann.
Schüler und Lehrer waren gleichermaßen begeistert von Rudloffs Wandelbarkeit, seiner authentische Begeisterung für Texte und seiner Bühnenpräsenz.
„Ich hatte mir einen Vorleser alt, mit grauem Bart und dicker Lesebrille vorgestellt, nicht so spritzig und modern wie diesen Schauspieler“,
resümierte Robin positiv angetan nach der Lesung.
Auch Cilia und Melina waren sich einig: „So spannend und interessant wollen wir auch einmal vorlesen können.“
Caroline Bußmann (NOZ)