Was sind Stadtidioten?
Das sind die, die aus der Großstadt aufs Land ziehen und meinen, sie wissen alles besser als die Einheimischen. In „Altes Land“ sind das die Hamburger und in „Unterleuten“ die Berliner. Aber es gibt eben in den Dörfern auch intern große Konfliktherde. Das ist dann die zweite Ebene, die hinzukommt.
Ist das der Dorfwahn?
Genau. Auch die Dorfleute wähnen sich manchmal als die besseren Menschen – und es ist genauso verkehrt. Beide Bücher beschäftigen sich ja neben anderen Themen vor allem mit der Kleinkariertheit bürgerlichen Zusammenlebens. Das kennt man überall, in Bayern wie in Niedersachsen, in der Stadt wie auf dem Land.
Gibt es überhaupt noch Unterschiede zwischen Stadt und Land?
In den beiden Büchern werden sie jedenfalls sehr deutlich. Bei „Unterleuten“ kommen zusätzlich noch alte DDR-Feindschaften innerhalb des Dorfes hinzu. Und ein Turbokapitalismus-Konflikt zwischen den Zugezogenen. Metropolen gelten immer als weltoffener, was sie teils auch sein müssen. Aber man kann in ihnen auch in seiner Blase leben.
Sie lesen auf dem Land und in der Stadt. Sind die Reaktionen unterschiedlich?
Eigentlich nicht. Aber ich habe im ländlichen Raum mehr aufgeschlossenes Publikum erlebt. Und auf dem richtig flachen Land lachen die Leute auch an anderen Stellen.
Wann?
Wenn ihre Position eingenommen wird und sie sich bestätigt fühlen. Aber die beiden Autorinnen sind so fair, dass sie auch die andere Seite beleuchten. Mit diesen Passagen können sich dann die Städter wieder identifizieren. Es ist aber nicht schwarz-weiß, sondern man kann über sich selbst schmunzeln. Das ist die Schnittmenge, in der sich beide Gruppen erkannt fühlen und teils etwas beklommen lächeln. Manchmal bleibt ihnen aber auch das Lachen im Hals stecken.
Gab es Proteste wegen des Titels?
Noch nie. Und wenn man in der Lesung sitzt, versteht man auch sofort, was gemeint ist.
Gibt es falsche Vorstellungen über die jeweils andere Seite?
Da muss man ja nur in den Nahen Osten gucken. Es scheint den Menschen innezuwohnen, dass die Nachbarn die ärgsten Feinde sind. Es muss früher einen biologischen Selektionsvorteil gebracht haben, das scheint noch tief in uns drin zu sein. Anders kann ich mir das nicht erklären. Die Situation ist auch auf die Stadt und das Land zu übertragen. Und wenn die Städter rausgezogen sind, werden sie halt zu Nachbarn der Einheimischen.
Haben Magazine wie die „Landlust“ viel Schaden angerichtet, was Illusionen der Städter über das Landleben anbelangt?
Sie haben es auf jeden Fall verschärft. Das wird im „Alten Land“ ja auch porträtiert. Da zieht der abgehalfterte Großjournalist aus der Stadt aufs Land, will dort seine eigenen Zeitschrift machen und denkt ziemlich überheblich: Boah, was komme ich gut mit den Einheimischen zurecht. Aber er kriegt einfach nur Vorschussvertrauen von den Leuten. Irgendwann ist das aufgebraucht, und dann scheitert er.
Es gibt Missverständnisse auf beiden Seiten?
Genau. Und wenn man nicht über sie redet, wird man die Menschen auch nicht ins Boot holen können.
(Peter Intelmann, Lübecker Nachrichten)