Interview


"Zur Erziehung gehören klare Grenzen"

 

Rainer Rudloff spricht über den Umgang mit neuen Medien 

(von Anita Metzler-Mikuteit, Schwäbische Zeitung)


Beim landesweiten Literatur-Lese-Fest „Frederick-Tag“ ist Rainer Rudloff aus Lübeck zu Gast in der Stadtbibliothek Bad Saulgau gewesen.
Am vergangenen Freitag hat er Kindern der Klassen 4a und 4b der Berta-Hummelschule aus Otfried Preußlers „Räuber Hotzenplotz“ sowie aus Tolkiens „Hobbit“ vorgelesen.
Mit seiner ausdrucksstarken, höchst wandlungsfähigen Stimme, mit reicher Gestik und Mimik nahm er die Mädchen und Buben mit in die Welt der kleinen friedlichen Hobbits.

 

SZ-Mitarbeiterin Anita Metzler-Mikuteit hat sich mit Rudloff im Anschluss unterhalten.

 

Herr Rudloff, die Kinder waren begeistert von ihrer bewegten, sehr aktiven Vorstellung. Einfach nur vorzulesen, wäre vermutlich schwieriger gewesen?

 

Sie haben recht, das reicht in der heutigen Zeit, in der die Kinder stark durch die visuellen Medien geprägt sind, nicht mehr aus. Diese Erwartung kann man entweder bedienen, indem man Bilder oder Videos zusätzlich zum Lesen projiziert - oder man kann sie eben gerade nicht erfüllen, indem man äußere Bilder konsequent vermeidet und den Kindern die Kraft zur Imagination zutraut.

 

Die neuen Medien zu verbieten, macht sicherlich keinen Sinn und lässt sich auch nicht realisieren. Welche Tipps geben Sie Eltern, Erziehern und Pädagogen an die Hand?

 

Vertrauen Sie auf die Kraft der persönlichen Zuwendung. Die Aufgabe einer erziehenden Person ist es doch, die Kinder liebevoll und kraftvoll durch das Leben zu begleiten.

Dazu gehören unbedingt klare Grenzen.

Die Kinder sind heute oft überfordert mit der übergroßen Auswahl, die wir ihnen bieten.

Da ist weniger mehr.

 

Im Rahmen ihrer Vorstellung ist es den Kindern leicht gefallen, innere Bilder zu kreieren. Hierzu scheint es inzwischen deutlich stärkere Anreize zu brauchen als es früher der Fall war.

 

Das Problem ist das Ausmaß der vielen völlig ausgeformten Bilder der visuellen Medien, mit denen die Kinder heute förmlich überschwemmt werden.

Nicht nur überfordern die Inhalte oft das seelische Empfinden der Kinder, sondern auch die Fähigkeit, sich selbst etwas vorzustellen stumpft ab.

Dazu gehört dann auch, dass ich mir nicht mehr so überlege, ob ich mein Gegenüber womöglich mit Worten oder Taten verletze.

 

Nach ihren Beobachtungen leidet in dieser von medialen Einflüssen stark geprägten Welt – vielfach bereits im Kleinkindalter beginnend – nicht nur die Fähigkeit, sich über einen längeren Zeitraum zu konzentrieren. Auch die Entwicklung des Empathievermögens wird stark beeinträchtigt. Einfach weil es zunehmend an zwischenmenschlichen Kontakten mangelt?

 

Ich sehe leider zunehmend Eltern, die ihre Kinder wahllos der Gewalt, der Abstumpfung und Sinnentleerung des Fernsehens und Internets aussetzen.

Es ist natürlich recht bequem, da man sich in dieser Zeit nicht um die Kinder kümmern muss.

Dabei gibt es kaum ein schöneres Geschenk, als Zeit mit seinen Kindern zu verbringen.

 

Zeit scheint ein kostbares Gut geworden zu sein. Die vielen fortschrittlichen Entwicklungen in allen Bereichen haben uns nicht die erhoffte Zeitersparnis gebracht, sondern genau das Gegenteil, eigentlich verrückt, oder?

 

Michael Ende hat es in seinem Buch „Momo“ auf den Punkt gebracht, wo er sinngemäß sagt: „Zeit kann man nicht sparen. Jede Stunde, die nicht mit dem Herzen wahrgenommen wird, ist eine verlorene Stunde.“

 

Aufmerksamkeitsdefizite – wie etwa das AD(H)S-Syndrom - sind seit Jahren auf dem Vormarsch. In aktuellen Krankenkassen-Studien ist die Rede von Steigerungen von rund 30%. Kinder scheinen ganz offensichtlich die Verlierer zu sein in dieser „schönen neuen visuellen Welt". Und die Pharmaindustrie verdient daran.

 

Ich wünsche allen Eltern so sehr den Mut, ihre Kinder klar und liebevoll zu erziehen.

Den Kindern sollte noch mehr Zeit geschenkt werden.

Es gibt kaum etwas Wertvolleres und Stärkenderes als echte Zuwendung.

 

Im Rahmen dieser Entwicklung, die eine ganze Gesellschaft merklich verändert, kommt nicht nur dem Elternhaus, sondern auch den Schulen eine ganz besondere Bedeutung zu. Wie könnte/sollte ihrer Meinung nach vor diesem Hintergrund die Schule von morgen aussehen?

 

Zugewandte Lehrer, die echtes Interesse an den Kindern mitbringen.

Lehrpläne, die mehr auf den Erwerb von Fertigkeiten als von Wissen ausgerichtet sind.

Und vor allem: eine Schule in einer Gesellschaft, die nicht nur Ehrgeiz und Egoismus fördert, sondern wieder mehr den Blick und das Mitgefühl für den Anderen wertschätzt.

 

(c) Metzler-Mikuteit / Schwäbische Zeitung